Für die Reise hatte ich einen schwedischen Traggestell-Rucksack von Haglöfs und für Notfälle
ein leichtes Minizelt und einen Schlafsack dabei. Eine damalige Luftmatratze wäre zu schwer gewe-
sen und Isoliermatten gab es zu der Zeit nicht. Für die Reise nahm ich insgesamt nur 1.050 DM mit,
mehr hatte ich nicht. 1.050 DM waren damals viel Geld.

Ich fuhr zunächst mit meinem Motorrad bis nach Deutschland, dann lief ich und trampte, fuhr mit Zü-
gen und Bussen, und mit Bussen, die angeblich welche waren. Ich fuhr auch mit Konvois. Als ich
nach Deutschland zurückkam, wog ich unter 50 kg, bei einer Größe von 1,86 m.

Den Titel "In ein anderes Land" verwende ich deshalb, weil diese Internet-Präsenz NICHT vom Norden handelt. Ich bin in ein
völlig anderes Land gefahren: in den Orient, ein großer Kontrast zu Nordeuropa! - Ich habe hier alles aus der Erinnerung auf-
geschrieben, darüber wundere ich mich selbst. - Es kommt mir so vor, als hätte ich das alles erst vor einem Jahr erlebt.

Ich wohnte und arbeitete damals in Stockholm. Dort besorgte ich mir auch bei der iranischen Botschaft ein Visum für den Iran. Dann fuhr ich
mit meinem Motorrad nach Deutschland. In Ahlen kaufte ich mir eine Bahnfahrkarte von München nach Istanbul, sie war nur halb so teuer
wie die Fahrkarte von Ahlen nach München. Deshalb trampte und lief ich nach München. Dort stieg ich in den Orient-Expreß, wahrlich keine
Luxus-Karosse.

Doch bereits an der bayerisch-österreichischen Grenze war meine Reise zunächst zu Ende. Ich mußte ins Krankenhaus: Ich hatte mir vom
vielen Laufen eine Sehnenscheiden-Entzündung am linken Fuß zugezogen. "Wo wollen Sie denn hin?" fragte die Ärztin. "Nach Indonesien!"
DAS hatte ich ursprünglich geplant. Da untersuchte mich die Ärztin auch noch auf einen Sonnenstich, "weil es so warm ist", sagte sie. "Sie
bleiben jetzt erst einmal 10 Tage bei uns!" Doch am übernächsten Tag riß ich aus und stieg in den Zug nach Wien. Dort blieb ich einige Tage.

Auch in Budapest blieb ich einige Tage, in Pest (rechts der Donau, wo das Parlamentsgebäude ist), verhalf mir der Ober in einer Gaststätte zu
einem kostenlosen Quartier inkl. Vollpension bei seiner Familie in Buda, auf der anderen Seite der Donau. Er zeigte mir Budapest und fütter-
te mich mit den extrem scharfen Kirschpaprika. Er amüsierte sich jedesmal köstlich, wenn ich mein Gesicht verzog: "Dieter, Du siehst wirk-
lich komisch aus, mußt fleißig üben, wenn Du in den Orient willst!"

Foto des Hintergrundbildes, Urheber: Baptiste Marcel - Ein gemeinfreies Bild zur freien Verwendung durch Jedermann.

Hin und zurück waren es 17.500 Kilometer. Ich kam durch ausgedörrte Steppen und Steinwüsten. Kein Wald, kein Wasser.

Mit Google-Mapps errechnete Strecke

In Belgrad wurde ich von erfahrenen Weltreisenden erst einmal darüber aufgeklärt, wie ich meine DM auf dem Schwarzmarkt günstig umtau-
schen kann. Und ich erfuhr, wie Schwarztauscher ihre Scheine vorzählen: Oberer und unterer Schein in voller Länge hingehalten, die Scheine
in der Mitte umgeknickt und doppelt gezählt. ... Dann stieg ich in den Zug nach Istanbul. Und ab sofort war ich im Orient: Hühner flatterten
im Zug herum, Kinder benutzten mich als Kopfkissen, Männer spuckten mir die Hülsen der Sonnenblumenkerne in den Nacken, ein Riesen-
geschrei und Gegacker im gesamten Zug. Die Fahrgeräusche hörte ich nicht, auch nicht das Bremsenkreischen. Etwas mehr Ruhe war nachts.
Da hatte ich ein neues Problem: Wie sicher war meine Ausrüstung. In der Kameratasche hatte ich z.B. 2 Spiegelreflex-Kameras dabei .. mit
Wechsel-Objektiven. Durfte ich überhaupt schlafen? Vermutlich tat ich den Menschen Unrecht.

An den Bahnsteigen in Bulgarien und in der europäischen Türkei standen Leute vor den Zugfenstern, die Essen anboten - meistens halbierte
Brote mit Grünzeug in der Mitte eingeklemmt. Als ich in Istanbul aus dem Zug stieg, da wußte ich: Ich bin nicht in Lappland. Von links, von
rechts, von vorne, von hinten, von unten und von oben hupte es ununterbrochen. Ich fragte mich, wie die Menschen das hier aushalten. Und
ich wollte spontan in den nächsten Zug zurück nach München einsteigen. Ich suchte die Jugendherberge in Istanbaul und bekam ein Bett.
Über mir lag ein englischer Rucksacktourist und weinte. Er hatte über 200 Flohstiche. Nichts half dagegen. Das waren ja rosige Aussichten.

Einige Tage lang sah ich mir Istanbul an: die Basilika Hagia Sofia, die Sultan Ahmed Moschee (Sultan Ahmed Djami), den Basar, das Treiben
an der Galatabrücke, das moderne Stadtviertel Taksim. Die ursprünglich christliche Hagia Sofie wurde später über lange Zeit als Moschee ge-
nutzt. Atatürk (|> Ankara) verbot die Nutzung als Moschee, diplomatisch wandelte er die Hagia Sofia in ein Museum um. Dort gibt es eine Säu-
le. Sie hat durch häufiges Anfassen eine Mulde. Wenn man dort seine Hand hineinlegt, kann man einen Wunsch äußern. Die Sultan Ahmed
Djami hat 6 Minarette, Dies war eigentlich der Moschee in Mekka vorbehalten. Und so bekam die Moschee in Mekka ein 7. Minarett. Eines Ta-
ges sah ich an einem Minarett der Sultan Ahmed Djami - auch Blaue Moschee genannt - die Eingangstür geöffnet. Ich stieg die steinerne Wen-
deltreppe hinauf, bis zum Rundgang. Dort stand der Muezin (Gebetsrufer) und bekam einen großen Schreck, als ich auftauchte. Er war aber
so tolerant, mich einige Aufnahmen von der herrlichen Aussicht über Istanbul machen zu lassen. Das Betreten der Minarette ist verboten,
besonders den Ungläubigen. Doch die Menschen der Weltstadt Istanbul waren schon damals ziemlich tolerant.

Istanbul am Bosporus, rechts der westliche, europäische Teil,
links der östliche, asiatische Teil: Üsküdar. - Heute mit Brücken.

Die Hagia Sofia in Istanbul war eine große christliche Basilika,
wurde dann in eine Moschee umgewandelt, ist jetzt ein Museum.

Verkehrsregeln schien es in Istanbul nicht zu geben, zumindest sah es so aus. Bei dieser Fahrweise hätte es in einer deutschen Großstadt
mindestens jede Minute laut gekracht, hier nicht. Hin und wieder fuhr ich mit einem Dolmus ('Dolmusch' = Sammel-Taxi), das war sehr preis-
wert. An einem Freitag ging ich zum Freitagsgebet in die Blaue Moschee (Sultan Ahmed Djami). Ich war und ich bin kein Moslem. Ich wollte
das "nur mal" mitmachen. Am Eingang ließ ich meine Schuhe zurück und mischte mich dann unter die Gläubigen. Das Innere der Moschee
war riesengroß. Ich fiel durch Körpergröße und Hautfarbe auf. Ich machte alles so mit, wie es die Moslems vormachten, nur beten konnte ich
nicht. Mein linker Nachbar grinste immer ganz unverschämt und der rechte guckte ständig auf seine Armbanduhr. Als alle Gläubigen die Mo-
schee verließen - ich auch - saßen in der Moschee neben dem Ausgang auf der Bank viele Touristen. Sie sahen mich an wie ein Weltwunder.

Dann kam der Abschied von Istanbul. Mit einer Fähre fuhr ich über den Bosporus nach Üsküdar, eine Brücke gab es damals noch nicht. Nun
war ich im asiatischen Teil von Istanbul, in Anadolu (Anatolien). Ich bestieg einen Bus - doch Halt: Vorher mußte ich meine Hände aufhalten,
vom Busfahrer bekam ich einen ordentlichen Schuß Parfüm in die Hände, das Parfüm mußte ich in die Kopfhaare reiben. "Das hilft gegen den
Knoblauchgestank", wurde ich später mal aufgeklärt. Der Bus fuhr nach Ankara, durch bergige Landschaften. Das Gras war häufig braun von
der sengenden Sonne. In Ankara (hieß früher Angora) besuchte ich natürlich das auf einem Hügel gelegene Mousoleum von Atatürk, in deut-
scher Sprache "Vater der Türken". Atatürk - mit bürgerlichem Namen Mustafa Kemal Pascha - gründete 1924 eine moderne Republik Türkei.
Damit war das Osmanische Reich aufgelöst.

Auf der Reise von Istanbul-Üsküdar nach Ankara. Nur im Frühjahr
ist das Land grün, im Sommer wird es zur gelben Steppe.

Das Mausoleum in Ankara. Hier ist Atatürk, der Vater der Türken
bestattet. Atatürk gründet 1924 die moderne Republik Türkei.

Von Ankara aus fuhr ich mit einem Bus nach Ordu, einem kleinen Städtchen direkt am Schwarzen Meer. Direkt hinter dem schmalen Sand-
strand und parallel zum Strand war eine mit Platten befestigte Fläche, ca. 1 km lang. Auf dieser Fläche lagen Millionen Haselnüsse zum Trock-
nen - Haselnüssse, für die Türkei ein wichtiger Exportartikel. Ich fand einen Übernachtungsplatz privat auf einem Sofa, wieder umsonst. Die
Türken waren damals extrem deutschfreundlich. Als Alman - als Deutscher - war ich oft Mittelpunkt vieler Menschen, so wie Kara Ben Nemsi
in den Karl-May-Romanen. Dies Popularität konnte einem fast zu Kopf steigen ... aber manchmal auch sehr lästig sein. Wenn ich mal meine
Ruhe haben wollte und jemand fragte mich "Alman?", dann sagte ich "Ben Russia", ich bin Russe. Dann drehten sich die Leute um und gin-
gen weg. Es war reine Notwehr, Denn der ganze Trubel, der ganze Lärm des Orients waren für meine Seele nichts.

Ich wollte weiter nach Trabzon am Schwarzen Meer und bestieg einen halb verrosteten, klapprigen Bus, einen anderen Bus gab es nicht. Wäh-
rend der Bus über die schlechte Schotterstraße ratterte, beteten die Fahrgäste des vollbesetzten Busses ununterbrochen "Aschodda an lahe-
lahe illalah, Mohammadan rasullala." Das war auch notwendig, denn auch dieser Busfahrer war im Opiumrausch. Trotz des Parfüms stank es
im Bus fürchterlich nach Knoblauch. Ich saß hinten auf der zweitletzten Bank. Mein Hintermann knabberte Sonnenblumenkerne und spuckte
mir die leeren Hülsen in den Nacken. An diese Unart hatte ich mich inzwischen gewöhnt, und ich setzte in Bussen grundsätzlich meine Anorak-
kapuze auf, so konnten die Hinterleute spucken.

Doch die größte Überraschung war eine ganz andere: Im Bus war dichter Nebel, obwohl draußen klares Sonnenwetter war. Der Nebel im Bus
hatte bereits kurz nach der Abfahrt begonnen. Ich konnte die Sache nicht verstehen, den Busfahrer sah ich von der zweitletzten Holzbank aus
nur in Umrissen. Mein Nachbar bemerkte, daß ich mich über den Nebel wunderte, und er zeigte auf den Fußboden: Überall stieg vom Fußbo-
den aus Nebel auf, NEIN, ich stellte jetzt fest, es war Staub von der Schotterstraße. Der Fußboden hatte kleinere und markstückgroße Löcher
und auch Ritzen. Sofort packte ich meine Kamera-Ausrüstung doppelt in Kunststoffbeutel ein, die müßte sicher sein. Die übrigen Sachen wur-
den auf der über 180 km langen Fahrt eingestaubt, der graue Staub war im Rucksack

In Trabzon war graues, absolut windstilles Wetter. Trotzdem rollten 4 bis 5 m hohe Wellen an den Strand, eine Dünung aus weiter Entfernung
auf dem Schwarzen Meer. Die Fontänen an den Hafenmolen spritzten bis zu 20 m hoch, ein gespenstisches Bild bei völliger Windstille. In ei-
nem Fachgeschäft kaufte ich Ansichtskarten. Als ich bezahlen wollte, durfte ich das nicht. Ich sei Alman, deswegen müsse ich nicht bezahlen,
sagte der Inhaber des kleines Geschäftes. Das war mir inzwischen aber richtig peinlich. Ich durfte nicht wiedersprechen, das wußte ich. Es wä-
re eine Beleidigung für die Menschen gewesen.

Ich war hier schon in Nordost-Anatolien, im armenischen Teil der Türkei. Ich fuhr weiter nach Erzurum. Die fast 300 km waren eine sehr kur-
venreiche Strecke durch ostanatolisches Bergland, ein buschreiches Land, auch mit vielen Haselnußstauden und Dornengebüsch. An Wälder
kann ich mich nicht erinnern. Die Fahrt endete dann auf einer Hochebene, in Erzurum. Dort schlief ich mehrere Tage in einer Art Jugendher-
berge. Das Klima war in Erzurum sehr angenehm, das Wetter war zwar warm, aber auch sehr klar mit trockener Luft. Grund: Erzurum liegt
auf einem 1.950 m hohen Hochplateau. Es gibt 361.000 Einwohner und eine Universität, die Atatürk-Universität. Ich bekam eine Durchfaller-
krankung und mußte auch ständig brechen. Ich vermutete eine Amöbenruhr. Ich nahm Kohletabletten, die stopfen. Und im Avrupahotel (Eu-
ropahotel) trank ich Raki pur, ein 80-prozentiger Anisschnaps, in Persien heißt er Arak. Die Leute staunten nicht schlecht. Moslems dürfen
eigentlich keinen Alkohol trinken. Um Mohammed zu besänftigen, trinken sie Raki stark verdünnt mit Wasser. Nach einigen Tagen ging es
mir wieder besser, vermutlich wegen der Kohletabletten und nicht wegen dem Raki.

Erzurum, Großstadt im armenischen Ost-Anatolien der Türkei, liegt
1.950 m hoch, mit der Atatürk-Universität, 361.000 Einwohner.

Medrese in Erzrum mit Doppel-Minarett, erbaut von den Seldschu-
ken, die hier zwischen 1200 und 1300 Bauwerke errichteten.

Ich kam an einem Fleischergeschäft vorbei. Dort hing im Schaufenster Hammelfleisch an Haken. Aus dem Fleisch krabbelten Maden. Jetzt
wurde mir klar, weshalb die Orientalen ihr Essen so stark würzen. Sie schmecken dann nicht alles so genau, was sie kauen. Ich aß ja auch
davon. Wenn ich warm essen wollte, ging ich in ein einfaches Eßlokal und marschierte meistens direkt in die Küche, großes Gejohle. Mit
ein paar Handbewegungen verscheuchte ich 1000 Fliegen, großes Gelächter. In einer Küche stehen mehrere Waschkessel direkt mit Feuer-
stelle darunter. Im Münsterland heißen sie Schweinepott. Ich zeigte dann auf die Pötte, aus denen ich Essen haben wollte. Anschließend gab
es gratis ein Gläschen Tee. Das sind die Gläser, die wie kleine Blumenvasen geformt sind. Die Türken kippen dann den Tee auf die Unter-
tasse und schlürfen davon den Tee runter. Dabei rauchen sie Opium mit der Wasserpfeife und unterhalten sich über Politik.

Ich kaufte häufig auf dem Markt, aber keine offenen Früchte, also keine Weintrauben, keine Tomaten o.ä. So wollte ich einer bakteriellen
Infektion vorbeugen. Ich kaufte eigentlich nur Wasser- und Honigmelonen, und Brot. Wassermelonen heißen Kawung. Ich klopfte darauf
und drückte sie. Waren sie hart und stramm, nahm ich sie nach Preis-Verhandlung. Waren sie weich, sagte ich JOG (nein), schnalzte mit
der Zunge und warf meinen Kopf in den Nacken, das heißt Ablehnung. Getränke kaufte ich ausschließlich in original-verschlossenen Fla-
schen. Das war meistens Wasser ohne Kohlensäure und Coca Cola. Wasser aus dem Wasserhahn dürfen Europäer nicht trinken, sie sind
nicht immun wie die Einheimischen. Auch mit Zähneputzen mußte man vorsichtig sein.

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