Allein in der Wildnis

Ich fuhr allein, "Extrem-Reisen" mache ich immer allein. In meinem Umfeld kenne ich
niemanden, der so etwas mitmacht. Es ist zu anstrengend, zu primitiv, zu einsam und
die Natur nicht SO interessant um die Strapazen auf sich zu nehmen. Abschreckend
sind besonders der schwere Rucksack, das häufige Schlafen im Zelt, vielleicht auch im
Dauerregen und nicht zu unterschätzen: die Einsamkeit. Es gibt sicher viele Men
schen
in Deutschland, die solche Reisen machen. Sie sind trotzdem eine kleine Min
derheit
und über Deutschland verstreut. So bin ich zum Einzelkämpfer geworden.


Im Oktober 2010 fuhr ich los, Richtung Nordwest-Dalarna. Auf der Fahrt dorthin ließ
ich mir etwas Zeit, besuchte bekannte Stellen, paddelte auf idyllischen Seen und ließ
die Seele baumeln, näherte mich dabei aber dem Norden Dalarnas.



   
Ich fand nach einigem Suchen einen günstigen Stellplatz für mein kleines, wendiges
Wohnmobil, direkt an einem größeren Gebirgssee, weitab von Landstraßen. Zum Was-
ser waren es gerade mal 20 Meter. Ich beschloß, hier zu bleiben und bereitete meine
Fahrt gründlich vor.



   

Ich nahm einen fertig gepackten Rucksack mit. Was nicht rein paßte oder zu schwer
war, mußte im Auto bleiben. Allerdings nahm ich zusätzlich etwas Material und vor al-
lem Reserve-Nahrung für 2 Depots mit. Die Versuchung ist groß, im Boot doch mehr
mitzunehmen. Das Boot kann eben mehr tragen als ich.



   
Zwei Tage paddelte ich langsam in Richtung Hochgebirge. Ich fuhr meistens in Ufer-
nähe, wegen des schon recht kalten Wassers und weil man am Ufer viel mehr sehen
kann als auf dem offenen Wasser. Doch einen Elch konnte ich trotz leisen Paddelns
nicht überraschen, war mir aber auch schon mal vor langer Zeit gelungen.



   
Noch gab es hier viel gelbes Herbstlaub. An einem schönen Uferplatz nahm ich mein
Boot aus dem Wasser, denn ich wollte mein Zelt nicht wieder im Dunkeln aufbauen.
Ich baute mein Zelt auf und machte einige kurze Eintragungen in mein Fahrtenbuch.
Ich sah mir etwas die Umgebung an und sammelte schließlich trockenes, also mehr-
jährig auf dem Waldboden liegendes Holz.



   
In der Dämmerung machte ich ein Feuer und grillte zwei Bratwürstchen, trank eine
Flasche Bier und ein Schnäpschen hinterher. Dann spielte ich auf meiner Mundharmo-
nika alte Fahrtenlieder. Ein Radio hatte ich natürlich nicht dabei, auch keine anderen
Beschallungs-Instrumente, ich brauchte das nicht, kam mit mir allein gut zurecht.
Ich war rundum zufrieden und wußte: So viel Luxus konnte ich mir in den nächsten
zweieinhalb Wochen nicht mehr leisten, den Luxus wollte ich nicht mitschleppen.



   
Nachdem ich das Feuer gelöscht hatte - ich hatte es nicht auf einer Klippe oder auf
Nadelboden gemacht - lief ich im Halbdunkel noch etwas am Ufer. Viele Stimmen gab
es nicht im Wald, viel weniger als bei uns in Deutschland auf dem Land.



   
Dann ging ich in mein Zelt. Es blieb in der Nacht vermutlich trocken. Nichts hatte heute
auf Regen hingedeutet. Übrigens: Die 4 Reflektoren am Zelt decke ich in "unsicheren
Gegenden" ab, z.B. in Deutschland. Hier oben ist das alles überflüssig.



   
Mein schwedisches Hilleberg-Zelt Nallo 2 (Testsieger) ist für 2 Personen geeignet, ob-
wohl es dann mit Gepäck doch eng wird. Das Zelt ist sturmsicher und winterfest, wiegt
aber nur 2,3 kg. Es ist bis ins Detail gut durchdacht und bestens verarbeitet, hat aber
mit über 600,- Euro seinen Preis.



   
An diesem Morgen kommt meine vorläufig letzte Etappe mit meinem Boot. Ich pad-
delte immer in Ufernähe. Der Himmel war heute morgen grau, die Sicht nicht gut. Ich
hoffte darauf, daß der Dunst /Nebel am späteren Vormittag nach oben steigen und
sich in der Sonne auflösen würde.



   
Dann MUSSTE ich quer über den See, bei ca. 7° C Wassertemperatur war das nicht lu-
stig. Ich zog meinen dünnen Neopren-Anzug an, auch wenn ich mich beim Paddeln ka-
putt schwitzen würde. Der Anzug konnte lebensrettend sein. Mein Gepäck war in zwei
wasserdichten  Beuteln verstaut, der  leere Rucksack nicht. Alles war  am Boot festge-
bunden, sollte man immer machen. Das gegenüberliegende Ufer war so wolkenverhan-
gen, daß ich das Gebirge nicht sehen konnte.



   
Doch je näher ich dem anderen Ufer kam, desto mehr konnte ich schemenhaft etwas
vom Gebirge erkennen, bis es dann deutlich zu sehen war, wie hier auf dem Bild. Die
leichten Regenschauer hatten auch aufgehört.



   
Ich war ans Ufer gegangen  und wurde doch glatt von zwei Rentieren begrüßt. Sie wa-
ren halbwild, nah ran konnte ich natürlich nicht. Sie gehörten Samen, hielten sich aber
doch  weitab von ihrem  "Wirkungskreis" auf.  Mein Gepäck lag  am Ufer. Ich lies die
Luft von meinem Boot, rollte es  zu einem kleinen  Paket zusammen, teilte das Paddel
in seine zwei Hälften. Boot und Zubehör versteckte ich dann etwas entfernt vom Ufer,
außerdem einen wasser- und luftdichten Behälter mit "normalen" Nahrungsmitteln und
mit einigen Gepäckstücken, die ich nicht mitnehmen konnte. Ich kramte mein GPS-
Gerät heraus, bestimmte meine Position und speicherte sie als Bootsversteck ab.



   
Es war später Vormittag und das Wetter zwar immer noch grau, doch die Sicht war
wesenlich besser. Ich beschloß, hier am kleinen Gebirgssee Mittag zu machen. Ich
konnte mich waschen und Trinkwasser schöpfen. Ab jetzt war ich ganz allein, ohne
Boot und ohne einige zusätzliche Ausrüstungsteile. Ich hatte nur DAS bei, was ich
auch tragen konnte. Ich legte mich in die Rentierflechte und schlief.



   
Dann am mittleren Nachmittag: die ersten Sonnenstrahlen! Ich machte Kaffeezeit und
legte mich wieder hin. Für mich als Flachlandmensch war es natürlich ungewohnt, mit
schwerem Gepäck ständig bergauf zu gehen. Außerdem bin ich auch nicht mehr der
Jüngste. Ich war nun nicht mehr allzu weit von einer guten Hütte entfernt, die ich von
früher kannte. Bis jetzt hatte ich vom Auto an gerechnet keinen Menschen gesehen.



   
In der Berghütte  angekommen! Es war  später Nachmittag und die Sonne schien. Ich
machte schon mal mein Schlaflager fertig. Dann verstaute ich einen leichten Behälter
mit einem Nahrungsmittel-Vorrat von 8 kg. Den hatte ich zusätztlich zu meinem Ruck-
sack mitgenommen und legte hier also ein Depot an. Mein Rucksack war voll und wog
26 kg, nicht gerade wenig für einen "älteren Herrn". Ich hatte allein 14,5 kg trockene
Nahrungsmittel  dabei - also nicht wasserhaltige - und mußte  damit 17 Tage auskom-
men. Ab jetzt wurde mein Rucksack jeden Tag um ca. 860 Gramm leichter. Der Ruck-
sack auf dem Bild ist ein schwedischer 90-Liter-Expeditions-Rucksack von Haglöfs mit
Außentraggestell, Leergewicht 4,2 kg. Er ist nun 17 Tage lang mein Freund. Ich ruhte
mich nach dem Abendessen  etwas aus, sah mir dann noch  die nähere Umgebung der
Hütte an und ging dann früh schlafen.



 
Am frühen Morgen: ein fantastisches Morgenrot und Rauhreif, ist auch auf dem Dach
zu sehen. Ich hatte immer ein kleines Thermometer dabei, es waren - 3° C. Ich stand
immer sehr früh vor der Dämmerung auf, denn ich ging ja bei der frühen Dunkelheit
im Oktober auch immer früh schlafen, so konnte ich immer mindestens 9 Stunden lie-
gen, viel zu viel, zu Hause komme ich mit 6 Stunden Schlaf aus. Doch die Luftverän-
derung, der schwere Rucksack und die ewigen Steigungen machen schön kaputt.



   
So, Abmarsch! Ich verließ die Hütte - danke schön ! - die letzte zivilisatorische Einrich-
tung, die ich vorläufig antraf. Der gekennzeichnete Steg ging jetzt noch ca. 3 Kilometer
weiter, dann war ich wieder Pfadfinder.



   
Ein breiter Wildbach, stark wasserführend, stürzt sich hier in die Tiefe. Hier an dieser
Stelle werde ich nach mehr als 2 Wochen wieder vorbeikommen, allerdings 100 m tiefer.
Doch jetzt ging es erst einmal bergauf, nur bergauf.




Und nun ein letzter Blick in tief gelegene, bewaldete Region. Tschüß Boot. Den See
konnte ich überhaupt nicht mehr sehen. Krüppelbirken gab es jetzt hier oben immer
weniger, bis sie bald ganz unterhalb von mir waren. Der mit roter Farbe auf Steinen
markierte Pfad verlor sich hier. Ich speicherte die Koordinaten meines Standortes im
GPS-Gerät ab und notierte sie zusätzlich. Ab jetzt mußte ich selbst den Pfad finden.



   
Mit meinem kleinen Fernglas 10 x 20 hatte ich schon vor Stunden diese Überraschung
entdeckt: ein Unterstand. Prima ich brauchte mein Zelt nicht aufbauen und schlief hier.
Jetzt war wieder  leichter Frost.  Der Wind  machte die Sache manchmal ungemütlich.
Ich mußte mich immer in der Nähe von Wasser oder von einem Schneefeld aufhalten:
Ich mußte ja trinken und abends Kartoffelbrei kochen. Müßte ich das gesamte Wasser
für 17 Tage mitnehmen, wären das 34 kg zusätzlich zu dem 26 kg schweren Rucksack
gewesen, also überhaupt nicht machbar.



   
Dann sah ich die ersten Schneefelder, Schnee vom letzten Winter, also auch noch
Anfang Mai hier oben gefallen. Großes Glück hatte ich mit dem Wetter, gute Fern-
sicht. So ging das nun tagelang. Ich schlief nun natürlich immer im Zelt. Ab und zu
gab es mal ein Schneeschauer. Ich konnte bei der Fernsicht gut einschätzen, wann
es mal wieder so weit war und konnte vorher in Deckung gehen. Der Schnee blieb
nicht und wenn, dann nur ganz kurz liegen.



   
Dann wieder ein Geröllfeld, und es ging immer noch weiter nach oben. Die kantigen
Brocken konnten gut eine Seitenlänge von 4 m und eine Höhe bis zu 3 m haben, so
daß ich sie umgehen oder mich  durchschlängeln mußte. Zwar spürte ich, daß mein
Rucksack schon etwas leichter geworden war, aber es war besonders in diesen stän-
dig wieder vorkommenden Geröllfeldern eine Schinderei. Nach jedem Geröllfeld ha-
be ich mich auf den letzten Felsklotz gelegt und ausgeruht. Aber ich wollte es ja so
haben, querfeldein. Schon längst war ich seit Tagen in NORWEGEN. Ich wußte es
gefühlsmäßig wohl, konnte dies aber mit meinem GPS-Gerät nachprüfen.



   
Nach einigen Tagen erreichte ich eine weitläufige Hochebene. Über eines konnte ich
mich jedenfalls NICHT beklagen, über das Wetter. Ich hatte bisher ein Riesenglück,
bis auf die gelegentlichen Schneeschauer. Aber es war auch tagsüber Frost, nur in
den vier Mittagstunden nicht. Wenn ich keine langjährige Erfahrung im Wandern und
auch im Hochgebirgs-Wandern gehabt hätte, wäre ich diesmal nicht schon wieder oh-
ne markierten Pfad gelaufen. Ich habe eine Art Riecher für Richtungen und Gelände,
und früher gab es nicht einmal GPS, da bin ich nur nach Sicht und manchmal, eher
selten, nach Kompaß gelaufen.



   
Hier auf der Hochebene konnte ich mein Zelt nicht verstecken, also nicht gegen Wind
schützen. Es wehte kräftig, eine steife Brise, ca. 6 Beaufort. Meinem Zelt machte das
nichts aus, aber mir. Häringe gingen nicht in den steinigen Boden, also mußte ich dik-
ke Steine nehmen  und daran die  Zeltleinen befestigen. Mir fiel auf, daß es  hier oben
keine Schneefelder gab, kein Wunder, es war flach ohne Senken oder Nischen, in de-
nen sich der Schnee hätte halten können. Ich übernachtete zweimal hier auf der Hoch-
ebene, ließ das Zelt also an einer Stelle stehen. Es gefiel mir hier sehr gut.



   
Dann kam der Zeitpunkt, an dem ich wieder umkehren mußte. Ich wählte eine andere
Route. Da gab es weniger Geröll .. aber mehr Schneefelder. Ich konnte sie nicht umge-
hen, die Umwege wären jedesmal zu groß gewesen. Also mußte ich durch! Oft sackte
ich bis über die Knie ein, eine Schinderei. Mein Gewicht + Rucksackgewicht ließen mich
einsacken, einmal sogar bis zum  Schritt, so daß sich  der Rucksack  auf dem Schnee
abstützte. Ich konnte mir die Tageszeit für die vielen Schneefelder ja nicht aussuchen.
Denn bis morgens um 10 und nachmittags ab 16 Uhr war der durch Frost verharrschte
Schnee so fest, daß ich nur 10 bis 20 cm einsackte. Eine alte Trapper-Weisheit: "Gehe
nie durch Schnee am Mittag!" Von nun an ging es ständig bergab, manchmal steil.



   
Ja .. und dann kam ich an die Stelle, an der ich schon vor zwei Wochen war, damals
stand ich allerdings 100 Meter höher, dort wo der breite Wildbach sich in die Tiefe
stürzt. Hier, wo die Sonne nicht hinkam, war auch tagsüber Frost. Unterwegs hatte ich
in der kältesten Nacht - 6° C. Das hatte mein "Frühwinter-Schlafsack" so eben aus-
gehalten. Nun ging es in Richtung Hütte, wo ich meine erste "Wandernacht" verbracht
hatte, noch einige Kilometer und Höhenmeter. Mein Rucksack war um 13 kg leichter,
gemessen an den verzehrten Portionen. Und er war morgen wieder 8 kg schwerer, ich
packte mein Depot rein, brauchte es diesmal also nicht an der Hand tragen.



   
An der Hütte war ja bereits der erste Wald nach meiner Tour. Nun ging es also durch
lichten Wald weiter, ungewohnt, aber schön. Stundenlang begleiteten mich die Un-
glückshäher, auf Schwedisch "Lavskrika", auf Englisch "Sibirian Jay". Ich glaube teil-
weise waren es dieselben, teilweise wieder andere. Sie sind für ihre Zutraulichkeit
bekannt und waren die ersten Lebewesen, die ich nach meiner Hochgebirgstour um
mich hatte. Allerdings fütterte ich sie auch mit Knäckebrot.



   
Und dann waren die unendlich großen Wälder schon wieder ganz nah und mein Boot
mit Zubehör und mit meinem zweiten Depot warteten auf mich. Am Abend grillte ich
nach zwei Wochen Kartoffelbrei und Haferflocken wieder Bratwurst am Lagerfeuer,
trank diesmal zwei Bierchen und zwei Schnäpschen. Doch vorher hatte ich natürlich
schon mein Zelt aufgebaut ... sicherheitshalber.



   
JA, an einem späten Nachmittag kam ich dann bei leichtem Frost nach zwei Tagen
Bootsfahrt "zu Hause" an: an meinem Wohnmobil. Es war der 3. November.


Sollte ich mich nun freuen, oder sollte ich traurig sein? Ganz einfach: Ich hatte sehr
gemischte Gefühle, und ich trank erst mal ein  Bierchen auf die  gesunde Rückkehr.
Dann machte  ich wieder  ein Lagerfeuer  und grillte, spielte  Mundharmonika und
dachte an die vergangenen Abenteuer und daß ich das bald wiederholen würde. Nun
müßte ich nach  über 3 Wochen  damit rechnen, morgen  oder übermorgen  wieder
Menschen zu sehen. Ich hatte unterwegs jeden Tag mehrmals laut gesprochen, ich
wollte meine Stimme nicht  wieder verlieren. Das war  mir mal vor langer  Zeit nach
einer ähnlichen Tour passiert: Ich bekam nur leise und krächzend Laute aus meinem
Mund, und das hatte etliche Tage angehalten. Das war mir eine Lehre.

An Menschen und Autos mußte ich mich erst langsam wieder gewöhnen. Nun kam
ich ja zum Glück nicht  direkt in das dichtgedrängte  Deutschland. Ich ließ mir auf
der Rückfahrt durch Schweden und Dänemark Zeit und sah noch eine ganze Men-
ge, vor allem schöne Landschaften.


Weshalb schwarzer Hintergrund ?
Der Kontrast zu den Bildern ist  größer. Deshalb ist es im Kino dunkel.


Fotografiert und beschrieben:  Dieter Kisse
     
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