Waffen im Visier
– doch das Problem ist viel komplexer

DEUTSCHE

Der Amoklauf in Winnenden hat 17 Menschen das Leben gekostet.
Sicher war die leicht verfügbare Waffe ein die Tat begünstigender
Umstand. Und deshalb wollen Politiker weiter das Waffengesetz
verschärfen. Die Vorstellungen reichen von der Ansicht, alle Waf-
fen gänzlich zu verbieten, bis hin zu Vorschlägen, die Waffenver-
fügbarkeit deutlich zu reduzieren.

POLIZEI

Nr. 5 Mai 2009

Fachzeitschrift der
Gewerkschaft der Polizei

Im nachfolgenden Beitrag legt der Waffenrechts-Spezialist
Wolfgang Dicke seine Sicht auf verschiedene Vorschläge dar.

Am Ende bleibt der Mensch

Das Schreckliche ist einfach zu groß, zu unfassbar. Auch Tage nach dem Amoklauf von Winnenden, einer
28.000-Einwohner-Stadt nahe Stuttgart, ist es schwer, das Ereignis zu begreifen. Allzu menschlich daher, dass
viele Fragen gestellt wurden, die oft in den Wunsch mündeten, nach Lösungen zu suchen, eine Wiederholung
möglichst zu verhindern. Dabei bleibt eine ernüchternde weil bittere Erkenntnis: Am Ende bleibt der Mensch
– und der ist fehlerhaft

In einer Mediengesellschaft ist es wohl unvermeidlich: Das Wechselspiel aus Medien und Politik verursacht eine riesige Welle
an Meinungen und Vorschlägen. Was ist dabei Selbstdarstellung im Parteiengerangel, was ist durchaus verständlichem Man-
gel an Kenntnissen in Sachen Waffenrecht und privatem Waffenbesitz zu schulden und was ist von der Verantwortung getragen,
auch bei einem jetzt schon sehr strengen Waffengesetz nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen?

Erst die Waffenrechtsreform von 2003 hatte deutlich verschärfte Vorschriften für die Unterbringung von Waffen und Munition ge-
bracht. Nur noch zertifizierte Tresore bzw. entsprechend abgesicherte Waffenräume sind seither zugelassen; aber auch die
ausgefeilteste Sicherheitstechnik muss -- wie im Fall Winnenden -- versagen, wenn der Besitzer fahrlässig eine Waffe außer-
halb aufbewahrt. Wenn man bei Fort Knox die Türe offen stehen lässt, ist das Gold auch weg. Also -- so viele besorgte Politiker
-- müsste die sichere Aufbewahrung von den zuständigen Behörden auch kontrolliert werden. Bei Neuanträgen auf waffenrecht-
liche Erlaubnisse ist die vorgesehene Aufbewahrung nachzuweisen, durch die Kaufquittung des entsprechenden Tresors bzw.
Fotos, wo das schwere Stück (mindestens 200 kg, sonst Verankerung in Boden oder Wand) untergebracht ist.

Beim Altbesitz kann die Waffenrechtsbehörde die Befolgung der Aufbewahrungsvorschriften kontrollieren, nach vorheriger An-
meldung - es sei denn, es ist Gefahr im Verzuge. Das verfassungsrechtlich verbriefte Recht der Unverletzlichkeit der Wohnung
gilt also auch hier, das ist auch von denjenigen zu beachten, die erst kürzlich bei der Debatte über die Onlinedurchsuchung so
pingelig auf diesen Grundgesetzartikel verwiesen; aber da ging es ja auch nur um die Terrorismusbekämpfung. Ein ganz
gewichtiges Argument tritt hinzu: Es ist billig, häufigere Kontrollen der privaten Unterbringung von Waffen zu fordern -- solange
nicht zugleich gesagt wird, wer das tun soll. So etwas kostet Personal, das nach aller Erfahrung gerne schon wieder verweigert
wird, wenn es einige Wochen später bei den Haushaltsdebatten um den viel zu teuren öffentlichen Dienst geht.

 

Hilft eine zentrale Lagerung bei den Schützenvereinen bzw. den Schießständen?
Die Frage ist nicht neu. Sie wurde bereits weit im Vorfeld der Waffenrechtsnovelle 2003 von Fachleuten der Polizei und der
Schießsportverbände diskutiert und schließlich verworfen. Grund: das ist weit gefährlicher als die anonyme Lagerung bei den
berechtigten Waffenbesitzern zu Hause. -- Warum?

Generell liegen derlei Stätten an der Peripherie von Kommunen, also relativ einsam. Wenn dann abends nach dem Schieß-
betrieb der letzte Verantwortliche abschließt, wäre es ein Leichtes, ihn niederzuschlagen und den Schlüssel zu allen Tresoren
zu bekommen. Dann stünden ungeahnte Arsenale ungeschützt zur Verfügung - die Auswahl für Kriminelle sozusagen auf dem
Silbertablett. Und ein weiteres Argument: die Anzahl der Schusswaffen. Es sind etliche Millionen, die dann unterzubringen wä-
ren, eine praktisch unmögliche Aufgabe.

 

Der Täter von Winnenden war erst 17 Jahre alt; gleichwohl kam die Frage auf, ob man nicht die Altersgrenze für den legalen
Zugang zu Schusswaffen weiter heraufsetzen müsste. Das kann man tun, nur bedeutet das den Abschied von der Flut an Me-
daillen bei Olympischen Spielen bzw. Welt- oder Europameisterschaften beispielsweise beim Biathlon. Wer bei schießsport-
lichen Disziplinen mithalten will, muss früh anfangen und viel trainieren. Was aber offenbar in der Öffentlichkeit nicht ausrei-
chend ins Bewusstsein gedrungen ist, das ist die schlichte Tatsache, dass es beim Biathlon tatsächlich ums Schießen geht -
und zwar mit einer tödlichen Waffe.

 

Nicht wenige Journalisten waren bei Gesprächen mit der GdP bass erstaunt, dass es -- richtige -- Schusswaffen sind, die da
verwendet werden. Das führt geradewegs zu einer weiteren weithin unbekannten Tatsache: Man braucht zum Schießtraining
Munition - und zwar reichlich. Je nach Disziplin sind Jahresmengen von 3.000 bis 4.000 Schuss völlig normal, so lange man
sich nur auf Kreis- bzw. Bezirksebene bewegt. Geht’s höher auf die Landes- bzw. nationale Ebene, steigt der Munitionsver-
brauch um ein Vielfaches, genau der Grund, weshalb Sportschützen Sammelbestellungen bevorzugen, um bei dem ohnehin
teuren Sport ein wenig Geld zu sparen.

 

Vorschläge von Politikern -- so z. B. der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer -- verlangten ein Totalverbot für den
privaten Waffenbesitz. Hilft das gegen derart schlimme Verbrechen?

Hier hilft der Blick nach Großbritannien. Dort war es auch ein Amoklauf, der zum Verbot des privaten Waffenbesitzes führte. Am
13. März 1996 tötete der Amokschütze Thomas Hamilton im schottischen Dunblane 16 Kinder und eine Lehrerin mit einer Schrot-
flinte. Moderne Schusswaffen sind seither -- bis auf einige Jagdwaffen -- in Großbritannien für den Privatbesitz verboten. Ein Er-
folg? Mitnichten. Die Rate der Straftaten mit Schusswaffen geht seither ungebremst weiter nach oben und hat Größenordnungen
erreicht, die weit über den vergleichbaren Zahlen hierzulande liegen. Im Jahr 2007 gab es -- wie der "Telegraph" die britische Innenministerin Jacqui Smith zitierte -- mehr als 10.000 Straftaten mit Schusswaffen, weit mehr als das Doppelte in Deutschland.

In den britischen Großstädten hat sich eine höchst gefährliche Subkultur entwickelt, in der es für Jugendliche zur Selbstver-
ständlichkeit gehört, bewaffnet zu sein -- gerade auch mit Schusswaffen. Die Illegalität des Waffenbesitzes ist keine Abschrek-
kung, im Gegenteil. Der Staat, die Gesellschaft wird als Feind betrachtet, also auch seine Regeln, die man folglich bewusst
missachtet. Pistolen werden -- so ganz offen maskierte Jugendliche im britischen Fernsehen -- in London für umgerechnet
1.500 Euro verkauft, Schnellfeuergewehre für bis zu 6.000 Euro. Es geht auch billiger: Man kann eine Schusswaffe für 350 Euro
pro Nacht mieten. Allein 2007 beschlagnahmte eine Sondereinheit der Londoner Polizei im Rauschgiftmilieu mehr als 900 Schusswaffen.

 

Seit Jahren ein Phänomen: Tötungsdelikte, bei denen eine Schusswaffe das Tatmittel war, "genießen" in Öffentlichkeit, Politik
und Medien deutlich mehr Aufmerksamkeit als solche, die mit einem Messer begangen wurden. Fachleuten ist es eine altbe-
kannte Tatsache: Das häufigste Tatmittel bei Tötungsdelikten ist das Messer. Ein solches wird auch für Amokläufe benutzt.
Schon fast vergessen: bei der Einweihung des Berliner Hauptbahnhofes Ende Mai 2006 verletzte ein 16-Jähriger 28 Menschen
mit einem Taschenmesser. Ein solches Messer würde nicht einmal nach der letzten Verschärfung des Waffengesetzes von
2008 von dem dort erstmals normierten Führungsverbot in der Öffentlichkeit erfasst -- es war ein schlichtes Taschenmesser.

Und erst am 23.01.2009 drang ein Mann in eine Kindertagesstätte im belgischen Dendermonde, rund 30 km von Brüssel, ein
und tötete mit einem Messer 2 Kleinkinder und eine Betreuerin; 12 weitere Kinder und mehrere Betreuerinnen wurden zum Teil
schwer verletzt. Alles dies löst keinerlei öffentliche Debatte über die Gefährlichkeit von Messern aus. Warum nicht? -- Messer gehören ganz selbstverständlich zum täglichen Leben -- Schusswaffen eben nicht. Das führt zu einer einseitigen Wahrnehmung.

 

Bleibt wirklich nichts zu tun?

Nach einem so schrecklichen Verbrechen wie in Winnenden ist es eine selbstverständliche Verpflichtung, sorgsam zu prüfen,
welche Möglichkeiten es gibt, um eine Wiederholung zu verhindern. Das gilt auch für das Waffengesetz.

Dass bei dem Verhalten des Vaters (eine Schusswaffe außerhalb des Tresors aufzubewahren) die sorgfältige Aufbewahrung
besonders im Mittelpunkt der Debatte steht, ist verständlich. Das hat auch Dr. August Hanning, Staatssekretär im Bundesinnen-
ministerium, bei der Eröffnung der Internationalen Waffenmesse in Nürnberg (die Fachmesse für Hersteller und Händler mit
Teilnehmern aus 50 Ländern wurde aus reinem zeitlichen Zufall zwei Tage nach dem Amoklauf eröffnet) betont. Er verwies da-
rauf, dass seit 2002 in Deutschland die Zahlen der Waffendelikte ständig rückläufig seien; er appellierte an die privaten Waf-
fenbesitzer, sich ihrer großen Verantwortung bewusst zu sein und fügte hinzu, dass Überlegungen zu noch wirksameren Maß-
nahmen wie z. B. dem Einsatz der Biometrie zur Sicherung von Waffenbehältnissen sorgfältig geprüft werden sollten.

 

Das ist völlig richtig. Aber eines ist auch richtig: Es reicht nicht aus, sich auf das Waffengesetz zu stürzen und zu meinen, damit
sei es getan. Eine Gesetzesverschärfung kostet lediglich das Papier, auf das sie gedruckt wird. Sich um junge Menschen zu
kümmern, die offenkundig große Probleme mit sich und ihrer Umwelt haben, erfordert weit mehr Aufmerksamkeit und Hinwen-
dung, mithin ein höheres Maß an Sensibilität aber auch an Zeit, sich überhaupt solchen Menschen zuwenden zu können. Das
kostet Personal, z. B. bei Lehrern und bei Psychologen.

Was ist eigentlich nach dem Amoklauf vom April 2002 in Erfurt passiert?

Dass das Waffengesetz verschärft und die Einstellung von deutlich mehr Schulpsychologen angekündigt wurde.
Angekündigt -- dabei ist es weitgehend geblieben. Mehr fachkundiges Personal einzustellen hätte ja auch Geld gekostet.

W. Dicke

Nr. 5 -- 58. Jahrgang 2009 -- Fachzeitschrift und Organ der Gewerkschaft der Polizei
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ISSN 0949-2844